Es sind diese kleinen Begegnungen die auf Reisen passieren, die mich schon lange fasziniert haben. Heute auf dem Weg zum Flughafen Tokyo Haneda: Ein kurzes Gespräch mit dem Taxifahrer über die Länge des Fluges nach Frankfurt (15 1/2 Stunden über Alaska und den Nordpol (!!!!!)) das ich dank wieder aufgefrischter Japanischkonfidenz innerhalb eines Monats problemlos führen kann. Oder die Auszubildende am Schalter der Lufthansa, (ach, plötzlich wird wieder mehr Personal benötigt 😏), die geduldig von ihrer Trainerin durch die einzelnen Schritte geführt wird. Ich gehe das Prozedere gerne und geduldig mit, weil sie ohne Kommentar meine 3kg Übergewicht akzeptieren (im Koffer!.. um keine Missverständnisse zu provozieren). Der ältere Herr nach dem Security-Check, der mich anspricht und um die Teilnahme an einer Umfrage für die japanische Tourismusbehörde bittet, die ich gerne mitmache.
Diese Begegnungen sind so rar geworden in den letzten 2 Jahren ohne Reisen. Und ich kann sie auf Reisen irgendwie leichter erleben als im Alltag zu Hause, egal ob pandemische Zeiten oder nicht. Dabei weiss ich eigentlich, dass wenn ich häufiger mit einer gewissen Achtsamkeit, Ruhe und der Abwesenheit eines „Planungs- und Arbeitsmodus“, also ohne Ziel durch den Alltag in Deutschland gehen könnte, dass ich dann auch dort öfter solche Begegnungen haben könnte. Ich behaupte aber, es ist leichter in Japan diese Begegnungen zu erleben. Warum?
Beispiele: Die ältere Dame, Inhaberin eines Souvenierladens in der Narai-Juku, einer langen historischen Straße in den Bergen Naganos, die einen auf einen Tee in den Laden einlädt und uns so erfolgreich ihre leckeren Sembei (Reiskekse) verkauft. Der sehr freundliche Koch und Restaurantinhaber in Shiojori, ebenfalls Nagano, der einen kleinen Smalltalk beginnt mit der Frage, wo ich denn her käme (nicht im Ansatz ist dies eine rassistische Anmaßung, wie es manche Leute in diesen Tagen behaupten, sondern ganz einfach im Falle von Japan eine aufrichtige menschliche Kontaktaufnahme aus reiner Neugier, da ich nicht so aussehe wie 99% der Menschen, die hier leben. Damit sage ich nicht, dass dies in anderen Situationen nicht auch anders gemeint sein kann).
Die vielen Servicekräfte, die einem in Japan den Weg weisen. Ein Land in dem auch immer mehr Automatisierung und Maschinen die vielen alltäglichen Dinge erledigen (besonders aufgefallen ist mir das an den vielen neuen Selbstbedienungs-Supermarktkassen). Dieses Land erlaubt sich immer noch eine große Zahl von Parkplatzeinweisern und „Empfangspersonal“ (mangels eines besseren Worts), nicht nur im Hotel, sondern an jeder erdenklichen Ecke. Und wenn es nur das kurze Nicken ist, mit dem man sich gegenseitig kurz begrüßt, sich entschuldigt, sich gegenseitig wahrnimmt. Diese kleinen Begegnungen geben mir das Gefühl, mit anderen Menschen in Verbindung zu stehen, sei die Begegnung noch so oberflächlich. Wie wenig habe ich davon in den letzen Jahren in Deutschland erlebt… totale Mangelware! Und nicht nur wegen Corona, der Trend immer weniger Personal bei alltäglichen Erledigungen anzutreffen ist ja auch in Deutschland schon länger ganz stark zu bemerken.
Aber es geht nicht nur um Personal und Dienstleistungen im Alltag. Es geht auch um alle andere Menschen, denen wir begegnen oder nicht begegnen.
In Nagano im Hotel, einem Hotel im traditionell japanischen Stil, gehört zur Standardausstattung ein von den Hotelgästen gemeinsam genutztes Bad, wenn nicht aus einer natürlichen heißen Quelle gespeist (Onsen), dann wenigstens mit normalem Wasser betrieben. Viele Zimmer haben auch eine eigene Badewanne bzw. Dusche, wenn man dies bevorzugt, also ist die Nutzung des gemeinsamen Bades freiwillig. Aber das gemeinsame Bad ist viel größer (in diesem Fall für ca. 4-6 Personen), heißer (angenehme 41-42 Grad) und oft auch auch zumindest mit dem Blick auf einen kleinen japanisch gestalteten Innenhofgarten ausgestattet. Also neben dem Ankurbeln der Durchblutung, ganz ohne Sport, erfüllt das Baden in einem Ryokan auch die Funktion der Entspannung für die Augen, durch manchmal sehr schön (manchmal weniger schön) gestaltete Baderäume und Außenbereiche.
Wie es sich für‘s Baden gehört, macht man dies natürlich ohne Badehose, ganz traditionell, für manche beruhigend sei dazu gesagt, dass die Badebereiche für Männer und Frauen getrennt sind. Also wäscht und duscht man sich vorher sitzend an einem der vielen vorhandenen Waschplätze und steigt dann gesäubert in das Bad. Und öfter habe ich es erlebt, nicht immer, dass man mit anderen Badegästen ins Gespräch kommt (wenn ich das Wort „Badegäste“ in Deutsch schreibe, dann passt das gar nicht, weil dann denke ich an Sonnencreme und Pommes – ganz anders). So ungefähr, wie man sich vielleicht die alten Römer vorstellt, wenn sie stundenlang Schach spielend (gab’s damals schon Schach?) oder plaudernd in ihren öffentlichen Bädern saßen. Ein öffentliches Forum, in dem man sich körperlich begegnete, in dem man den anderen Menschen in ihrer pursten Form und Blösse begegnet ist. In dem man deswegen respektvoll miteinander gesprochen hat, über Unterschiede hinwegsehen konnte, verschiedene Meinungen aushalten konnte, etwas dazulernen konnte… ich war damals in Rom nicht selbst dabei… aber ich gehe mal stark davon aus, dass es in etwa so war. Und wo gibt es sowas heute noch? In Japan, ja ganz genau! Vielleicht noch in der deutschen Sauna oder im FKK-Club? OK, da gehe ich nicht regelmäßig hin, keine Erfahrungen zu berichten. Aber egal ob man beim Baden ins Gespräch kommt oder nicht, die körperliche Begegnung ist unersetzbar (muss nicht nackig sein!), um sich gegenseitig als Menschen wahr zu nehmen, Unterschiede zu überbrücken und letztendlich eine „gesunde“ Gemeinschaft und Gesellschaft zu schaffen.
Und wo gibt es dies alles nicht? Im Internet und in sozialen Medien insbesondere, weil wir dort auf Abstraktionen unserer komplexen Persönlichkeit reduziert werden… und zunehmend in unserem alltäglichen Leben, wie ich oben beschrieben habe. Corona-Maßnahmen, die Menschen physisch trennen und sich gegenseitig zur Gefahr erklären… sind nicht hilfreich um ein Gemeinschaftsgefühl zu erhalten oder zu verbessern. Und sorry Leute, das Internet ersetzt das NICHT! Das Internet verbindet uns höchstens mit unserer „Filterblase“, zumindest wenn wir uns nicht bemühen, aus verschiedenen Quellen verschiedene Meinungen und Positionen einzuholen, diese zumindest wahrzunehmen und im besten Falle alle kritisch zu hinterfragen. Das hieß mal früher ganz naiv Medienkompetenz oder so. Das Internet an sich ist natürlich nicht böse, genauso wenig wie Zeitungspapier, aber man muss sich dort am Besten mit allen Positionen auseinandersetzen, die die einem gefallen und die die einem weniger gefallen. Den dummen und den intelligenten Äußerungen. Genauso wie in einem öffentlichen Bad.
– Atempause –
Es wird in Japan nicht nur öffentlich gebadet, es wird dort auch sehr viel Bahn gefahren, beides fängt mit „Ba“ an, deswegen dachte ich, es reimt sich und eignet sich schön für diesen Blogpost. Auch beim Bahn fahren erleben wir uns alltäglich in einem öffentlichen Raum (hoffentlich auch wieder irgendwann ohne Maske). Und wenn wie in Japan auch Geschäftsleute und Manager die Bahn nehmen, weil es halt in einer Megametropole wie Tokyo oft der schnellste und einfachste Weg an den Arbeitsplatz ist, anstatt im BMW über die Autobahn zu heizen, dann beugt das auch der Wahrnehmung der Aufteilung der Gesellschaft in unterschiedlichen Klassen vor. Wir verlieren so viel davon, je mehr wir im Internet bestellen, je häufiger wir die SB-Kasse im Supermarkt nutzen, je häufiger wir den „Bag Drop“ am Flughafen selbst erledigen, unsere Behördengänge online machen, im Home Office arbeiten, in Autos durch die Gegend fahren… uns mit dem Scrollen durch Social Media-Feeds betäuben, „Social Distancing“ betreiben. Es ist ein schleichender Prozess, aber er wird deutlicher denn je, mit Turbo-Boost durch die Reaktionen auf Corona. Und mein Besuch in Japan hat mir diesmal sehr deutlich gemacht, wie sehr gewisse Dinge in der japanischen Kultur und Alltagswelt (hallo Mr. Parkplatzeinweiser) diesem Prozess immer noch vorbeugen, trotz manch anderer übertriebener Reaktion auf dieses Virus wie der Abschottung des Landes oder Maskentragen draußen, auf dem Fuji, oder einem einsamen Ruderboot auf einem See. Und diesen Unterschiede habe ich noch nie so stark erlebt wie jetzt.
Bitte bitte Japan, neben all deinen schwierigen Seiten und allen „westlichen“ Einflüssen, bitte erhalte dir diese respektvollen, zuvorkommenden und körperlichen öffentlichen Räume und Maßnahmen um anderen Menschen zu begegnen, sie sind das A und O für den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Und bitte Deutschland, schaut euch was ab! Vielleicht müsst ihr nicht eine schlecht bezahlte Arbeitskraft mit Uniform und Leuchstab neben eine chirurgisch verkleidete Rolltreppen-Baustelle in der U-Bahn stellen, so wie ich das oft in Tokyo gesehen habe, die den Fahrgästen sich für Unnannehmlichkeiten entschuldigend den richtigen Weg weist, aber vielleicht könnten wir es schaffen, dass es in Deutschland Selbstständigen leichter gemacht wird, ein kleines Geschäft zu eröffnen – als Gegengewicht zu Amazon, oder dass hier und da doch noch eine Person anstelle eines Computers beschäftigt wird, einfach wegen der persönlichen Ansprache, oder es mehr Nachbarschaftsfeste oder echte Streitkultur in Talk Shows gibt, etc etc… ich hoffe das Beste! Und es hilft, wenn sich alle mal gelegentlich die Klamotten ausziehen
Bye bye Japan!

Links zum Thema:
Ein Interview mit Tristan Harris, ehemals bei Google beschäftigt, jetzt ein Kritiker der schädlichen Mechanismen von Sozialen Medien. Englisch, für Fortgeschrittene:
Ein Kommentar im NDR, mit der Aufforderung „Runter von der Couch“, der die erst halbvollen Veranstaltungen in Hamburg bemängelt und das öffentliche Zusammenkommen als sehr wichtig für gesellschaftlichen Zusammenhalt betont:
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Kommentar-Runter-von-der-Couch,hamburgkommentar680.html